Brunetti View 1 - 2024

Welche Rolle spielen Zentralbanken und geopolitische Risiken in dem aktuellen Marktumfeld? Lesen Sie mehr über die Einschätzungen unseres Makroökomischen Beraters Prof. Dr. Aymo Brunetti in der neusten Ausgabe der Brunetti View.

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Veröffentlicht: 06. Mai 2024

Bemerkenswerter Schweizer Franken

 

Die Wirtschaftslage ist im Moment eher unspektakulär. Sowohl in der Schweiz als auch bei den wichtigsten Handelspartnern beobachten wir ein moderates Wirtschaftswachstum und Prognosen, die weder einen Boom noch eine Rezession erwarten lassen. Auch die Inflation, die uns die letzten beiden Jahre in Atem gehalten hat, ist vor allem dank der entschlossenen Reaktionen der Zentralbanken auf dem Rückzug; zwar haben die neusten Inflationsanstiege in den USA etwas aufgeschreckt, aber die meisten Beobachterinnen und Beobachter erwarten, angesichts der klaren Haltung des Fed, inzwischen keine langanhaltenden Gefahren für die Preisstabilität auch in den USA. Die SNB hat bereits eine erste Zinssenkung vorgenommen, in der Eurozone ist noch im ersten Halbjahr 2024 damit zu rechnen und in den USA gehen einige davon aus, dass das FED sogar noch in diesem Jahr die Zinsen zu senken beginnen wird. Auch der neuste World Economic Outlook des IMF widerspiegelt die wenig aufregende Entwicklung der wichtigsten makroökonomischen Daten; die grössten Risiken werden in der geopolitischen Lage gesehen. Hier haben die bisherigen Ereignisse noch keine tieferen Verwerfungen in der Weltwirtschaft ausgelöst, aber eine Ausweitung der Konflikte wäre natürlich etwas ganz anderes. Hier bestehen im Moment eindeutig die grössten Prognoserisiken.

Wir wollen den an sich erfreulichen Mangel an spektakulären konjunkturellen Ereignissen nutzen, um in diesem Beitrag den Blick etwas genauer auf eine Schweizer Besonderheit zu werfen, die für die Wirtschaftsentwicklung von grosser Bedeutung ist, und zwar den Verlauf des Wechselkurses des Schweizer Frankens. Dabei schauen wir einerseits die langfristigen Aussichten an, besprechen aber auch die Einflüsse des Frankenkurses auf die jüngeren Entwicklungen.

 

Die langanhaltende Aufwertung des Schweizer Frankens

Der Schweizer Franken gehört – was angesichts der Grösse des Landes einigermassen bemerkenswert ist – zu den bedeutenden Weltwährungen. Das hat in erster Linie mit seiner ausserordentlichen Wertentwicklung zu tun. Abbildung 1 zeigt die Entwicklung des nominellen Wechselkurses des Frankens gegenüber dem Dollar und dem Euro seit Anfang der 1980er-Jahre; für die Periode vor Einführung des Euro wird ein gewichteter Wert der Vorgängerwährungen verwendet. Gegenüber beiden Währungen hat sich der Franken massiv aufgewertet. Ein Dollar kostete Mitte der 1980er noch 3 Franken und inzwischen ist er für 90 Rappen zu haben. Der (synthetische) Euro kostete zu Beginn der betrachteten Periode rund 2 Franken 30 und kostet heute noch 97 Rappen. Und die gleiche Aussage liesse sich machen, wenn wir die Zeitreihen verlängern. In den Jahren fixer Wechselkurse nach dem 2. Weltkrieg kostete der Dollar – bis zum Übergang zu flexiblen Wechselkursen 1972 – 4 Franken 30 Rappen. Seit damals hat sich der Wert unserer Währung ausgedrückt in Dollar also mehr als vervierfacht! Damit ist die Kaufkraft der Frankens auf internationalen Märkten seit Jahrzehnten deutlich angestiegen.

Abbildung 1: Nominale Wechselkurse CHF/USD und CHF/EUR

 

Angesichts dieser Kursentwicklung ist es kein Wunder, dass der Schweizer Franken attraktiver Bestandteil international diversifizierter Anlageportfolios ist. Und es erstaunt auch nicht, dass bei globalen Instabilitäten der Franken als sicherer Hafen gesucht wird, was regelmässig zu Aufwertungsschüben in Krisenzeiten beiträgt.

Woher kommt dieser säkulare Aufwertungstrend?

Der Hauptgrund für die massive Aufwertung des Frankens ist die deutlich tiefere Inflation in der Schweiz. Langfristig wird die Entwicklung des Wechselkurses durch Inflationsdifferenzen getrieben. Intuitiv lässt sich der Mechanismus wie folgt erklären. Ist die Inflation in den USA höher als in der Schweiz, bedeutet das, dass die Dollarmenge stärker ansteigt als die Menge an Schweizer Franken. Weil der Franken dadurch gegenüber dem Dollar knapper wird, steigt sein Wert an; man muss also mehr Dollar für einen Franken bezahlen und damit wertet sich der Franken gegenüber dem Dollar auf. Tatsächlich war die Schweiz in den letzten Jahrzehnten ein Land mit im internationalen Vergleich sehr tiefer Inflation. Das bedeutet aber auch, dass auch bei einer Aufwertung des Frankens die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Exporteure nicht sinken muss. Die tiefere Inflation in der Schweiz bedeutet, dass die Produktionskosten weniger stark steigen als im Ausland und die Aufwertung des Frankens kompensiert dafür.

Für die Beurteilung der Effekte der Wechselkursentwicklung reicht es also nicht, nur den nominalen Wechselkurs aus Abbildung 1 zu betrachten; vielmehr muss auch die Inflationsentwicklung berücksichtigt werden. Genau dies macht der sogenannte reale Wechselkurs. Er korrigiert die Wechselkursentwicklung um die Preisdifferenz und ist deshalb das entscheidende Mass dafür, wie stark eine Währung aus Sicht der Realwirtschaft tatsächlich ist. Abbildung 2 zeigt deshalb für den gleichen Zeitraum seit Beginn der 1980er die Entwicklung des realen Wechselkurses des Schweizer Frankens. Die SNB publiziert diesen Indikator regelmässig und zwar handelsgewichtet gegenüber allen wichtigen Währungen. Er ist dabei so berechnet, dass ein Anstieg eine reale Aufwertung bedeutet. Wir sehen in Abbildung 2, dass sich der Schweizer Franken in der Periode zwar real aufgewertet hat, aber nur relativ bescheiden. Waren es bei der nominalen Wechselkursentwicklung noch – je nach betrachteter Währung – Verdoppelungen oder gar Verdreifachung des Wertes, ist der reale Wechselkurs „nur“ um rund 20% angestiegen.

 

Abbildung 2: Realer handelsgewichteter Wechselkurs des CHF

 

Eine Beurteilung der jüngeren Frankenentwicklung

Gerade die Entwicklung des Frankenkurses in den letzten Jahren verdeutlicht, wie wichtig die Unterscheidung zwischen nominalem und realem Wechselkurs ist. Wenn wir den nominalen Wechselkurs nehmen, sehen wir in Abbildung 1 seit 2010 eine sehr starke Aufwertung des Franken-Eurokurses von 1.50 auf 0.97. Ein solcher Aufwertungsschub für sich alleine betrachtet liesse die Vermutung aufkommen, dass die Schweizer Exportindustrie in existentiellen Nöten sein sollte. Das berücksichtigt aber eben nicht, dass in dieser Periode die Inflation in der Schweiz deutlich tiefer war als im Euroraum. Die Entwicklung des realen Wechselkurses in Abbildung 2 zeigt, dass die Aufwertung in dieser Periode deutlich weniger dramatisch war; in der gleichen Zeitperiode stieg dieser Index deutlich weniger. Der nominale Anstieg betrug etwa 35%, der reale etwa 10%. Und um das noch stärker zu verdeutlichen. Der Mindestkurs, den die SNB bis 2015 gegenüber dem Euro fixiert hatte, betrug 1.20; man erinnert sich gut, dass die Exportindustrie damals sagte, wenn der Franken sich nur ein bisschen aufwerte, dann wäre das existenzbedrohend. Seit der Aufhebung dieses Mindestkurses hat sich der Franken-Eurokurs nominal aber noch einmal deutlich auf aktuell 0.97 aufgewertet; dennoch hört man heute wenig Klagen von der Exportindustrie. Die Auflösung dieses scheinbaren Paradoxons liegt natürlich in der höheren Inflation im Euroraum seit 2015. In Abbildung 2 sieht man, dass der reale Wechselkurs in den vergangenen zehn Jahren praktisch stabil ist.

Wie wir in den letzten Jahren auch gesehen haben, hat die Aufwertung des Frankens nicht nur den Vorteil der steigenden Kaufkraft, sondern hilft auch bei der Inflationsbekämpfung. Nicht nur stieg die Inflation hierzulande weniger stark an als in vergleichbaren Ländern, sondern die Zinserhöhungen, die zur Wiederherstellung der Preisstabilität nötig waren, fielen weniger drastisch aus. Der Hauptgrund dafür war die Aufwertung des Frankens, welche die Importe vergünstigte und damit den Auftrieb der Preise – die Inflation also – sehr effektiv dämpfte.

Verantwortlich

 

Prof. Dr. Aymo Brunetti
Ökonom, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Bern

Sybille Wyss
Chief Executive Officer
s.wyss@tareno.ch

 

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