Brunetti View Juni 2025

Nach der Grossen Finanzkrise und der Pandemie steht die Weltwirtschaft erneut vor erheblichen Herausforderungen – diesmal allerdings nicht durch externe Schocks, sondern durch die Politik selbst. Die USA, als grösste Volkswirtschaft der Welt, spielen dabei eine zentrale Rolle. Was dies für die globale Wirtschaft zu bedeuten hat, lesen Sie in dieser aktuellen exklusiven Einschätzung unseres Makroökomischen Beraters Prof. Dr. Aymo Brunetti.

Veröffentlicht: 10. Juni 2025

Wirtschaftspolitische Unsicherheit in den USA auf Rekordniveaus

Die Weltwirtschaft hat in den letzten beiden Jahrzehnten – wir haben es hier schon einige Male thematisiert – mit der Grossen Finanzkrise und der Grossen Pandemie zwei Jahrhundertschocks wegstecken müssen. In beiden Fällen war die Wirtschaftspolitik durch aussergewöhnliche Ereignisse gefordert und musste unter Unsicherheit geeignete Massnahmen finden. Seit einigen Monaten sind wir wieder in einem krisenhaften globalen Umfeld, aber diesmal sind es keine exogenen Schocks, auf die die Wirtschaftspolitik reagieren müsste, sondern die Wirtschaftspolitik selbst ist zu einem massiven Unsicherheitsfaktor geworden. Konkret geht es dabei um die jüngste wirtschaftspolitische Achterbahnfahrt eines Landes, aber weil dieses Land – die USA nämlich – für die Weltwirtschaft so eminent wichtig ist, haben wir es wiederum mit einem globalen Ereignis zu tun.

 

Der Trump-Schock

Seit Donald Trump Präsident ist, bleibt in der US-Wirtschaftspolitik kaum ein Stein auf dem anderen. Kein Tag vergeht, an dem nicht eine neue weitreicheichende Massnahme angekündigt oder angekündigte angepasst oder zurückgenommen werden. Unabhängig von der materiellen Sinnhaftigkeit der einzelnen Ankündigungen, schafft dies zuallererst einmal eine massive Unsicherheit. Wie aussergewöhnlich das ist, zeigt die erste Grafik, die den oft zitierten «Economic Policy Uncertainty»- Indikator für die USA zeigt. Dieser Indikator beruht auf einer sehr breiten statistischen Auswertung von Medienbeiträgen, die nach bestimmten Begriffen durchsucht werden; es ist das am breitesten anerkannte Mass für den Grad der wirtschaftspolitischen Unsicherheit. Wir sehen in dieser bis 1985 zurückreichenden Zeitreihe, dass diese Unsicherheit mit der Machtübernahme der Trump-Administration bisher unerreichte Höhen erklommen hat. Die Grosse Finanzkrise von 2008 brachte kaum grössere Ausschläge, weil es sich dabei um eine relativ gewöhnliche – wenn auch sehr ausgeprägte – Bankenkrise handelte und die wirtschaftspolitischen Reaktionen darauf relativ bekannt und klar waren. Das war bei der Grossen Pandemie völlig anders.

«Economic Policy Uncertainty Indicator» für die USA

Dabei ging es um einen Schock, wie es ihn so seit mehr als einem Jahrhundert nicht gegeben hatte und mit welchen wirtschaftspolitischen Massnahmen die massiv negativen wirtschaftlichen Auswirkungen bekämpft werden sollten, war völlig unklar. Entsprechend sehen wir in der Grafik, dass bei Ausbruch der Pandemie der Indikator in die Höhe schoss und ein bis dahin nicht gesehenes Niveau erreichte. Das wird aber von der aktuellen Entwicklung in den Schatten gestellt. Nach Amtsantritt von Donald Trump erreichte der Indikator in kürzester Zeit den bei Weitem höchsten je gemessenen Wert und obwohl er sich am aktuellen Rand etwas zurückentwickelt hat, ist er immer noch etwa auf einem doppelt so hohen Niveau wie beim Höhepunkt der Pandemie. Es ist angesichts solcher Daten kaum übertrieben von einem ausgeprägten Trump-Schock zu sprechen.

Aus der ökonomischen Literatur ist bekannt, dass grosse Unsicherheiten Gift für die Investitionstätigkeit sind. Bei praktisch jeder Investition gibt es die Option zu warten und wenn viele gleichzeitig diese Option ziehen, dann hat das rasch substanzielle gesamtwirtschaftliche Kosten. Die Unsicherheit allein stellt folglich schon eine Gefahr für die US-Konjunktur dar. Und weil wohl die grösste Unsicherheit die erratische Zollpolitik der USA betrifft und damit den globalen Welthandel, trifft dies zu einem gewissen Grad die Weltwirtschaft. Man sieht das am Verlauf des auf einer Auswertung von US-Medien basierenden «Trade Policy Uncertainty Indicator» in der zweiten Abbildung. Seit dem Amtsantritt der Trump-Administration erreichte die Unsicherheit über die Handelspolitik extrem hohe Werte. Die täglich erhobenen Daten dieses Indikators reichen bis Ende Mai und zeigen, dass sich die Unsicherheit seit den Höchstwerten von Anfang April doch wieder deutlich zurückgebildet haben.

«Trade Policy Uncertainty Indicator»

Zollpolitik und Staatshaushalt als grösste US-Baustellen

Zur Unsicherheit kommen aber noch die inhaltlichen Fragezeichen zur aktuellen Wirtschaftspolitik der US-Administration dazu. Die allermeisten Ökonominnen und Ökonomen halten insbesondere die Handelspolitik der aktuellen Administration für äusserst schädlich. Sie geht von der fehlgeleiteten Vorstellung aus, dass Handelsdefizite etwas schlechtes und Überschüsse etwas Gutes seien. Und sie sieht den internationalen Handel als Nullsummenspiel, bei dem immer einer der beiden Handelspartner gewinnt und der andere dafür verliert. Beides ist grundlegend falsch, ist doch der internationale Handel das Resultat der freiwilligen Spezialisierung, von der wir seit dem Gründervater der Volkwirtschaftslehre Adam Smith wissen, dass sie die Grundlage des Wohlstandes darstellt. Die drastischen Fehlüberlegungen motivieren die US-Administration dazu, mit zum Teil massiv hohen Zöllen und/oder deren Androhung für die USA ein vorteilhafteres Resultat herausholen zu wollen. Wird dies aufrechterhalten, so sind tieferes Wirtschaftswachstum, ineffizienter Rückbau von globalen Lieferketten und Inflationsschübe die absehbaren Folgen.

Ähnlich fehlgeleitet ist die aktuelle Finanzpolitik, die mit Steuersenkungen und hohen Ausgaben ein Haushaltsdefizit produziert, als wären die USA in einer tiefen Rezession. Und auch die längerfristigen Fiskalpläne lassen wenig Gutes erwarten. Die Staatsverschuldung der USA wird rapide ansteigen und die Finanzierung der Schulden, dürfte einen immer grösseren Teil der Staatsausgaben ausmachen; schon heute sind die jährlichen Zinszahlungen der USA höher als ihre gesamten Verteidigungsausgaben. Auf den Bondmärkten zeigen sich schon klare erste Anzeichen in Form von stark ansteigenden Renditen, die darauf hindeuten, dass die Finanzmärkte die Nachhaltigkeit des US-Haushaltes in Frage zu stellen beginnen.

 

Fazit

Wie gravierend die Auswirkungen der problematischen US-Wirtschaftspolitik sein werden, hängt vor allem davon ab, ob sie längerfristig aufrechterhalten werden. Bleiben sehr hohe Zollschranken und gibt es keine Korrekturen bei der Fiskalpolitik, dann dürfte das insbesondere die US-Wirtschaft stark zurückwerfen. Allerdings gibt es auch Hoffnung, dass das alles nicht so heiss gegessen wird. Der Vorteil bei wirtschaftspolitischen Fehlern ist oft, dass die Rückmeldung über die Finanzmärkte oder die makroökonomischen Daten sehr rasch kommen. So haben die Ankündigungen sehr hoher Zölle Anfang April dermassen starke Reaktionen an den Börsen und bei den Renditen der US-Staatsanleihen ausgelöst, dass die Massnahmen inzwischen deutlich abgeschwächt wurden. Das erhöht zwar die Unsicherheit, könnte aber schliesslich dafür sorgen, dass die langfristigen Kosten dieser fehlgeleiteten Wirtschaftspolitik doch tiefer sein könnten, als man befürchten könnte. Die Börsen scheinen jedenfalls dieser Interpretation zuzuneigen, sind doch die Verluste inzwischen doch wieder deutlich reduziert worden. Gerade in der Zollpolitik wäre eine weitgehende Rücknahme der angekündigten Spitzenwerte sehr zu wünschen, würde ein Anhalten dieses Kurses doch zu sehr kostspieligen Anpassungen der globalen Wertschöpfungsketten zwingen und einen Prozess der De-Globalisierung einleiten, bei dem es wirtschaftlich fast nur Verlierer geben würde.

 

Autor

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Verantwort­lich

 

Prof. Dr. Aymo Brunetti
Ökonom, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Bern

Simon Lutz 
Chief Investment Officer
s.lutz@tareno.ch

 

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